Haben Sie schon mal von Googlability gehört?
Nicht? Sollten Sie aber!
Das Internet wächst und wächst, es kennt Antworten zu Karrierefragen, Kommentare zum Klimawandel oder Rezepte für Boeuff Stroganoff. Und immer öfter weiß es auch Wissenswertes über die Fragesteller selbst. Immer mehr Nutzer füttern das neue, personalisierte Internet, kurz Web 2.0, mit immer persönlicheren Daten – und das lockt immer mehr Neugierige an. Selbstdarstellung und Exhibitionismus sind zur Freizeitbeschäftigung für Millionen geworden. Ein paar Klicks reichen aus, um ein eigenes Webjournal zu betreiben, private Bilder hochzuladen oder in Blogs und Fachforen munter mitzuplappern.
Die Daten der Nutzer füllen Kontaktnetzwerke wie Myspace, Businessclubs wie OpenBC (demnächst Xing), virtuelle Visitenkarten wie Ikarma, Bildarchive wie Flickr oder Videoplattformen, wie das gerade von Google für 1,65 Milliarden Dollar gekaufte Unternehmen YouTube. Hauptarchivare aber sind die großen Suchmaschinen, allen voran das Trio Google, Yahoo und MSN. Allein Google katalogisiert nach Expertenschätzungen Informationen von mehr als zwölf Milliarden Webseiten.
Dazu kommen die neuen Spezialdienste. Die Suchmaschine Zoominfo zum Beispiel konzentriert sich darauf, personenbezogene Daten zu recherchieren, ebenso das Portal mit der passenden Bezeichnung Stalkerati. Blog-Einträge durchwült wiederum Technorati besonders gründlich. Selbst Sprachaufnahmen in Podcasts oder Videobotschaften lassen sich bereits von automatischen Datenfahndern wie Podzinger, TVEyes und Blinkx auswerten.
Was da entsteht, ist ein gigantisches globales Zentralarchiv, ein Online-Gedächtnis, das alles sieht und weiß und fast nichts mehr vergisst. Und das ist das Problem. Immer mehr Personaler werten dieses Wissen systematisch aus, durchforsten die Online-Vita eines Kandidaten, achten auf Lücken oder Widersprüche, auf eine seriöse Darstellung sowie darauf, ob jemand die Schlüsselpersonen seiner Branche kennt und umgekehrt. Falls nicht, ist das ein "K.o.-Kriterium", sagt zum Beispiel Sörge Drosten, Executive Vice President bei Kienbaum Executive Consultants in Düsseldorf.
Die Berater von Heidrick & Struggles unterhalten zum Beispiel gleich eine ganze Fahndungsabteilung für Webprofile. Im indischen Bangalore arbeiten mehrere Mitarbeiter im so genannten Knowledge Management Center und erstellen auf Anfrage 5- bis 25-seitige Dossiers zu Zielpersonen, die sich von denen der Kripo kaum noch unterscheiden.
Profiling heißt das im Fachjargon – jeder mustert jeden in der virtuellen Welt. So ist auf einmal für jeden erkennbar, wo und mit wem jemand zur Schule gegangen ist, für welche Vereine oder Verbindungen er sich engagiert hat, wer seine oder ihre Freunde sind und was die so treiben. Aber auch die Schattenseiten einer Vita – ein missglücktes Projekt, Verleumdungen, die Rache eines verschmähten Liebhabers, Jugendsünden – stehen plötzlich für alle sichtbar im Cyberspace. Das Netz mutiert nicht nur zu einem allumfassenden Wissensspeicher, sondern auch zum Reservoir der Indiskretion. Ein enormes Wissen – und eine enorme Macht.
Das Netz macht Lebensläufe transparenter als es vielen recht ist. Mal eben ein paar Ausrutscher retuschieren und die eigene Laufbahn schönen – das ist kaum noch möglich. Wahr ist, was digital geschrieben steht. Und das hat Folgen.
Der Internet-Leumund ist längst ein Faktor, der die Karriere entscheidend beeinflussen kann. Bei einer aktuellen Befragung des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) von mehr als 300 Personalberatern und Personalentscheidern gaben 28 Prozent an, das Internet regelmäßig zu nutzen, um Lebensläufe von Kandidaten auf Schwachstellen abzuklopfen: Referenzen, fachliche Eignung, Vergangenheit, Kompetenzen, Meinungsäußerungen, Mitgliedschaften, Freizeitaktivitäten – alles wird gesammelt und ausgewertet. 69 Prozent der Personalprofis nutzen das Medium dazu immer häufiger, mit entsprechenden Konsequenzen: In 34 Prozent der Fälle flogen Kandidaten schon nach den Online-Recherchen aus dem Auswahlprozess.
Das Phänomen hat bereits einen Namen: Googlability. In Anlehnung an die so genannte Employability, die Arbeitsmarktattraktivität, die bis vor kurzem noch für Bewerber ausschlaggebend war, prüfen Personaler zunehmend den Ruf in der virtuellen Welt, bevor sie jemanden einstellen. Der gläserne Mensch – im Web 2.0 wird er Realität. „In nicht allzu ferner Zukunft werden Personen, die nicht im Index stehen, von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben sein“, schreibt der US-Journalist John Batetelle, Mitbegründer des High-Tech-Szene-Magazins „Wired“, in seinem Buch „Die Suche“. „Wir anderen aber sollten am besten rechtzeitig und möglichst oft bei Google unseren Namen suchen. Denn es ist klug, sich ein Bild davon zu verschaffen, wer man laut Index ist.“
Es ist nicht einmal entscheidend, was jemand selbst publiziert. Ein vergräzter Kunde, ein rachsüchtiger Mitarbeiter – sie alle können problemlos Schindluder mit der falschen Identität ihrer Zielperson betreiben. Je subtiler, desto wirkungsvoller: Dutzende kleiner Besinnungsaufsätze zu hochprozentigen Alkoholika in Online-Gästebüchern machen aus einem geselligen Manager schnell einen sachkundigen Schlucker; ausführliche Spielkommentare in Fußballforen, am besten zu Bürozeiten, outen ihn als geltungssüchtigen Nerd, der seiner Arbeit nicht nachkommt. Der Nachweis, dass dies aus fremder Feder stammt, ist fast unmöglich. Und selbst dann: Irgendwas bleibt immer hängen.
Selbst das, was andere in bester Absicht über einen schreiben, Schnappschüsse, die Fremde oder Freunde auf ihre Seiten laden, sogar das Verhalten in virtuellen Diskussionen kann das Image beschädigen. Oder wie Kurt Tucholsky es formulierte: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“
So geschehen mit Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. Dessen Vita stand eine zeitlang mit durchaus kritischen Zwischentönen in der offenen Web-Enzyklopedie Wikipedia. Im Mai begannen jedoch loyale Konzernmitarbeiter damit, anonym sein Image zu verschönern. Halbsätze über ein misslungenes Handygeschäft wurden editiert, Links zu einer Geschichte über wegretuschierte Rolex-Uhren am Handgelenk des Topmanagers auf Pressefotos getilgt. Eifrig fügten sie auch lobende Passagen ein. Dummerweise fiel das auf. Im Wikipedia-Forum entbrannte ein heftiger Streit, der Kleinfeld-Beitrag landete auf der Liste der besonders umstrittenen Artikel, und die Medien berichteten darüber. Auch wenn Kleinfeld selbst nicht davon wusste, geschweige denn den Auftrag dazu gab – im Internet wird er stets der Manager bleiben, dessen Vita geschönt werden sollte.
Von der Euphorie des Web 2.0 angesteckt, machen sich die wenigsten Gedanken darüber, dass die Intimität des Internets eine Illusion ist. Ob man neue Freunde über Seiten wie Myspace oder Facebook sucht, seine Ansichten via Blog mit anderen teilt oder Meinungen und Aufsätze publiziert – das alles findet unter den Augen einer weltweiten Öffentlichkeit statt. Jede Aktion hinterlässt Spuren. Und sind solche personenbezogenen Daten von den Suchdiensten erst erfasst, wird es schwer, sie wieder zu löschen.
Die Inhalte lassen sich allerdings gestalten – mit Markenpflege in eigener Sache. Das Prinzip ähnelt dem Verfahren des Internet-Flohmarktes Ebay. Dort können sich Verkäufer und Käufer über zahlreiche gute Geschäfte eine seriöse Reputation aufbauen. Genauso lässt sich auch im Internet das eigene Image formen. Wenn sich schon negative Einträge in den Trefferlisten der Suchportale nicht löschen lassen, dann muss man sie eben verdrängen und dafür sorgen, dass die positiven Links nach oben rutschen.
In der Fachsprache heißt das Suchmaschinen-Optimierung. Die Mittel dazu sind vielfältig, legitim und oft sogar kostenlos. Dazu gehören:
* Der Eintrag in virtuellen Businessnetzwerken. Dort gilt es vor allem, Kontakte zu Leuten mit hoher Strahlkraft und Renommee aufzubauen. Der hinterlegte Lebenslauf sollte lückenlos und eindrucksvoll sein, das Foto professionell und sympathisch – genau wie bei einer Bewerbung. Ein paar verlinkte Einträge in Fachforen unterstreichen das Bild. Wichtig ist dabei, stets Qualität vor Quantität zu setzen. Mehr als 100 enge Businesskontakte braucht kein Mensch – wenn es die richtigen sind.
* Eine eigene Webseite oder besser ein eigenes Blog. Das kostet weder Geld noch viel Zeit, wird aber von Suchmaschinen bevorzugt. Auf dem Blog können solide recherchierte Fachartikel veröffentlicht oder Branchennachrichten kommentiert sowie der eigene Lebenslauf (eventuell Passwort geschützt) hinterlegt werden. Links zu anderen seriösen Seiten zeigen subtil, was der Seitenbetreiber sonst noch liest und wofür er sich interessiert. Effekt: Man positioniert sich als belesener Experte, der moderne Kommunikationsmittel zu handhaben weiß.
* Dasselbe gilt für Diskussionsbeiträge in öffentlichen Fachforen. Hier beweist man nicht nur Kompetenz, sondern auch Streitkultur. Nur eines ist dabei tabu: labern.
* Auf der Seite Del.icio.us lässt sich kostenlos die persönliche Favoritensammlung veröffentlichen, also die Webseiten, die man gerne und häufig besucht. Das mag trivial aussehen. Tatsächlich aber genießen solche Linklisten bei den Suchdiensten einen hohen Stellenwert. Auch hierbei sagt der Autor indirekt, wofür er sich interessiert.
* Nach dem gleichen Prinzip lassen sich noch mehr Treffer generieren: Wer zeigen will, wen er kennt und auf welch wichtigen Treffen er verkehrt, kann zum Beispiel Fotos von sich mit anderen Gästen kostenlos bei Flickr einstellen (Achtung: Vorher mit den Betroffenen klären, ob man die Bilder veröffentlichen darf, sonst verletzt man Persönlichkeitsrechte!). Beim Online-Buchhändler Amazon wiederum kann kostenlos eine Produkt-Wunschliste publiziert werden. Nebeneffekt: Wer sie findet, lernt etwas über den Musik- und Literaturgeschmack der Person. Darüber hinaus hilft es auch, seine Freunde und Mentoren zu bitten, gegebenenfalls auf deren Webseiten subtil Lobendes zu veröffentlichen und Links zu setzen. Hauptsache, alle diese Seiten werden am Ende untereinander verknüpft, denn das bringt den so genannten Google-Juice – den Saft, der Einträge in Trefferlisten nach oben katapultiert.
Und wenn Sie sich vielleicht gefragt haben, was dieses Blog soll – genau darum geht es: Es soll zeigen, was man alles machen kann und vor allem wie es wirkt. Googeln Sie Reiner Fakeman aus und sehen Sie am konkreten Beispiel was alles wo gefunden wird, wo Spuren (auch ein paar zweifelhafte) hinterlassen wurden und an welcher Stelle diese im Index einsortiert werden. Denn natürlich gibt es Reiner Fakeman nicht. Er ist ein reine Kunstfigur für diesen Artikel.
Bei all diesen Anwendungsbeispielen gilt allerdings die Devise: Nicht übertreiben! Es geht nicht darum, eine Scheinidentität zu inszenieren, sondern seine positiven Eigenschaften wahrheitsgemäß herauszustreichen, einen professionellen Eindruck zu hinterlassen – und diesem zu deutlich mehr Prominenz zu verhelfen.
Wer lügt, geht ein hohes Risiko ein, wie kürzlich Aleksey Vayner feststellen musste. Der 23-jährige Yale-Student wollte sich in moderner Form für einen Job an der Wall Street bewerben – mit einem knapp 7-minütigen Video, das er samt Lebenslauf an mehrere Unternehmen verschickte. In dem Bewerbungsfilmchen redet er über Erfolg, seine Stärken, seine Werte. Während der Ton weiterläuft, treibt er Sport, stemmt Gewichte, tanzt Salsa, spielt Tennis, am Ende haut er noch sieben Ziegelsteine kaputt. Das wirkt dynamisch und willensstark. Dachte er. Der Film gelangte an YouTube. Dort machten sich erst diverse Kommentatoren über das Video lustig, dann überprüften Blogger und Journalisten seine Angaben. Heraus kam: alles gelogen. Vayner hatte die Story über eine eigene Investmentfirma, deren CEO er angeblich ist, aufgeblasen; sein Buch über den Holocaust ist größtenteils ein Plagiat. Selbst die Ziegelsteine für den Karatetrick, vermuteten Filmprofis, waren frisiert. Die Medien, unter anderem die „New York Times“, „The New Yorker“ und „New York Post“, griffen die Story auf. Vayner war auf einmal der berühmteste Bluff-Bewerber der Wallstreet und ein Gespött für Millionen.
Öffentlichkeit 2.0 ist ein Drahtseilakt. Und Imagepflege ein fortlaufender Prozess, dem man sich mindestens einmal pro Monat widmen sollte. Es lässt sich kaum vorhersehen, welche Kontakte, welche Einträge einem in zwei oder zehn Jahren schaden. Ein Restrisiko bleibt und damit der Zwang zur Fürsorge. Bevor Sie also etwas im Netz veröffentlichen, stellen Sie sich die Frage: Würde ich neben diesem Text mit meinem Namen und Bild auch in der Zeitung stehen wollen?
Ist die Antwort Nein – löschen Sie es!
Freitag, 27. Juni 2008
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